Eine große Erleichterung für ein liberales Europa.
Am Sonntag hat das französische Volk Emmanuel Macron mit mehr als 58 Prozent in der Stichwahl einen klaren Regierungsauftrag erteilt. Das Ergebnis ist deutlicher als zuletzt befürchtet. Das französische Wahlvolk hat seine Zukunft nicht Marine Le Pen, der rechten Wölfin, die sich in den letzten Monaten einen zahmen Schafspelz wachsen ließ, überlassen, sondern sich für die Freiheit, für eine zukunftsweisende, liberale Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik und nicht zuletzt für Europa entschieden. Als das Ergebnis bekannt wurde, ging auch durch unsere deutsch-französische Familie ein Seufzer der Erleichterung.
Auf den ersten Blick ein Déjà-vu, aber 2022 ist nicht 2017. Ein Angriffskrieg in Europa, Gelbwesten-Proteste und eine drei Jahre währende Pandemie: Macron musste mit gewaltigen Herausforderungen umgehen. Viele ambitionierte Reformpläne konnte er deshalb nicht vollständig umsetzen. Der Abstand zwischen den beiden Kandidaten ist – wenngleich komfortabel für den alten und neuen Amtsinhaber – nicht so groß wie 2017. Damals erzielte Macron mit 66 Prozent einen überragenden Sieg. Heute muss er selbst zugeben, dass viele Wähler nicht für seine Ideen, sondern gegen eine Rechtsextreme an der Spitze ihres Landes gestimmt haben. Selbst wenn es Frankreich heute wirtschaftlich besser geht als zu Beginn von Macrons Amtszeit, die Arbeitslosigkeit auf einem historischen Tief liegt und das Land recht gut durch die Corona-Krise gekommen ist: Viele Franzosen fühlen sich nicht mitgenommen. Umso wichtiger ist jetzt das Engagement der Bürgerinnen und Bürger, insbesondere im Hinblick auf die Parlamentswahlen im Juni.
Als ich mich 2019 dazu entschloss, selbst die französische Staatsbürgerschaft anzunehmen, war es mir wichtig, ein Zeichen zu setzen. Gerade weil die deutsch-französische Zusammenarbeit und Freundschaft nicht mehr selbstverständlich scheint. Le Pens Aussagen im Wahlkampf haben das unterstrichen. Als Abgeordnete und Mitglied im Vorstand der Deutsch-Französischen Parlamentarischen Versammlung engagiere ich mich für die deutsch-französischen Beziehungen – vom Kultur- und Wirtschaftsaustausch bis zum Aufbau gemeinsamer Verteidigungssysteme.
Denn mit dem Ergebnis vom Sonntag haben die Franzosen auch Deutschland einen Auftrag erteilt: mehr Einsatz für ein handlungsfähiges, wehrhaftes und offenes Europa. Die liberalen Demokratien Frankreich und Deutschland müssen gerade jetzt gemeinsam Projekte antreiben und umsetzen.
Der Kommentar erschien am 26. April 2022 in der Rhein-Zeitung.