Transatlantischer Wirtschaftsraum als europäische Antwort auf das Regional Comprehensive Economic Partnership-Freihandelsabkommen.
Am 15. November 2020 unterzeichneten die ASEAN-Staaten China, Japan, Südkorea, Australien und Neuseeland das Freihandelsabkommen RCEP. Damit entsteht ein neuer Freihandelsraum mit rund 30 Prozent der Weltbevölkerung und des Welt-BIP, Tendenz steigend. Dieser gemeinsame Markt wird durch sein ökonomisches Gewicht globale Standards in technischen und ökonomischen Bereichen setzen. Das reduziert die Bedeutung Europas als globaler Standardsetzer und droht gar europäische Standards zu unterminieren. Diesem Bedeutungsverlust muss die EU entgegentreten.
Die in Europa im Kontext von Handelsverträgen oft kontrovers diskutierten Standards in den Bereichen Umwelt, Klima, Arbeitsbedingungen oder Rechtsstaatlichkeit finden in RCEP keinen substanziellen Niederschlag. RCEP ist also Ausdruck davon, dass China und andere Staaten bereit sind, pragmatisch Handelsvoreile zu realisieren, die politisch möglich sind – auch mit Staaten, deren Regierungsform und Politik im systemischen Konflikt zur eigenen stehen.
Für die EU ergibt sich durch diesen Ansatz Chinas ein Konflikt. Einerseits sind ambitionierte EU-Verhandlungspakete und hohe Standards im Interesse der EU. Andererseits führen zu hohe und umfangreiche Anforderungen an EU-Freihandelsabkommen oft dazu, dass keine Verträge zustande kommen. Dies trägt zu einer Erosion bestehender Standards bei, da China zielstrebig eine Variante der Handelsliberalisierung vorantreibt, die keine Rücksicht auf Umwelt, Menschenrechte, Rechtsstaatlichkeit und fairen Wettbewerb nimmt.
Um China als Wettbewerber effektiv zu begegnen, muss die EU globale Partnerschaften ausbauen. Daraus folgt, dass die EU anderen Ländern verlässliche – aber eben auch passgenaue – Angebote machen muss. Insbesondere Entwicklungs- und Schwellenländern muss eine europäische Alternative zur wirtschaftlichen Abhängigkeit von autoritären Staaten wie China angeboten werden.
Dafür sind realistische und attraktive Angebote für politisch unterschiedlich aufgestellte Partner notwendig. So ist mit Wertepartnern wie etwa Kanada schon heute eine umfangreiche Marktintegration möglich, die hohe Standards setzt und Hand in Hand mit Kooperationen in anderen Politikfeldern geht.
Mit anderen handelspolitischen Partnern, wie etwa Indien, sollten stattdessen zunächst kleinere Abkommen ausgehandelt werden. Erfolgreiche kleine Projekte schaffen Vertrauen und führen zu mehr Austausch – ökonomisch, gesellschaftlich und auch zwischen Regierungen. Auf dieser Grundlage wächst die Möglichkeit stufenweise weitere Themen und Politikfelder in Verträgen gemeinsam zu gestalten, beispielsweise im Bereich Klimaschutz und Umweltgüter.
Mit den USA wollen wir einen Transatlantischen Wirtschaftsraum gestalten. Auch hierzu ist ein schrittweiser und modularer Ansatz vielversprechender als die gescheiterten umfangreichen TTIP-Verhandlungen. Auf Basis der gemeinsamen Werte Demokratie, Marktwirtschaft und Rechtsstaatlichkeit müssen zunächst kleinere Abkommen zur Überwindung bestehender Handelskonflikte abgeschlossen werden. Das dadurch generierte gegenseitige Vertrauen ist Grundlage für eine zweite Stufe von Abkommen, die den gegenseitigen Zollabbau und eine gemeinsame Institution zur Setzung technischer Standards beinhalten sollte. Als dritte Stufe können dann die politisch schwierigeren nicht-tarifären Handelsbarrieren, etwa im Agrarbereich oder der öffentlichen Beschaffung, angegangen werden. Als langfristiges strategisches Ziel soll die Idee einer Transatlantischen Wirtschaftsgemeinschaft, also eines wirtschaftlich integrierten transatlantischen Freihandelsraumes der EU mit den USA, Kanada, Mexiko und weiteren europäischen Ländern wie Großbritannien, als Leitbild dienen.
Als notwendige Antwort auf die offensive chinesische Außenwirtschaftspolitik muss die EU pragmatisch eine Strategie stufenweiser Handelsverträge entwickeln und vorantreiben. Da China und andere Handelsnationen ohne die EU Fakten schaffen, schadet handelspolitischer Stillstand auch europäischen Politikzielen in den Bereichen Klimaschutz, Rechtsstaatlichkeit, Menschenrechte und Demokratie.
Thematisch schlankere, aber dafür auch umgesetzte Handelsabkommen sind dagegen Schritte in die richtige Richtung. Sie führen zu engerer wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Verknüpfung und sind damit Grundlage, um die Kooperation stufenweise auch in weiteren Politikfeldern auszubauen und verbesserte gemeinsame Standards zu vereinbaren. Die Erfahrungen der stufenweise erfolgten europäischen Integration können hier lehrreich sein. In der Integration der EU folgten beispielsweise gemeinsame Umwelt- und Sozialstandards dem Abbau von Handelshürden, jedoch nicht im Gesamtpaket, sondern stufenweise.
Parallel zur Ausweitung der europäischen Handelspolitik muss auch die Rolle der WTO wieder gestärkt werden. Hier sind jedoch deutliche Reformen notwendig, um den Weg aus der institutionellen Krise zu finden. Zugleich sollte die WTO als Plattform für plurilaterale Abkommen genutzt werden, wo multilaterale Abkommen in einem ersten Schritt nicht umsetzbar sind. Ähnlich dem "Europa der unterschiedlichen Geschwindigkeiten" sollten plurilaterale Vereinbarungen Beitrittspfade für alle WTO-Mitglieder veranken und so letztlich einen Weg zu multilateralen Abkommenen ebnen.
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